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  • AutorenbildWolfgang Bok

Ein bisschen Gott spielen

Merkel, Söder & Co. zeigen in der Corona-Krise ihren Hang zum Autoritären. Einwände gegen immer noch schärfere Einschränkungen werden niedergebügelt oder gar kriminalisiert. Man geriert sich als Lebensretter. Das ist anmaßend. Sind wir noch bereit, die Endlichkeit des Seins zu akzeptieren?


Eine Betrachtung von Dr. Wolfgang Bok


Unter den Privilegierten, die in Baden-Württemberg als erste gegen Corona geimpft wurden, war die älteste Bürgerin des Landes. Medial groß inszeniert, wurde der 108-jährigen Frau in einem Pflegeheim bei Heilbronn eine dieser raren Spritzen in den linken Oberarm gesetzt. Die kühle Szenerie hatte etwas Faustisches: Als ob der Greisin eben eine Injektion für das ewige Leben verabreicht worden wäre. Dabei hat die zierliche Frau im Rollstuhl ihre Altersgenossinnen, die im Schnitt um die Achtzig werden, bereits um Jahrzehnte überlebt.


Doch wer auch nur andeutungsweise in Frage stellt, ob Personen, die bereits ein biblisches Alter erreicht haben, wirklich vorrangig gegen Corona geimpft werden müssen, wird als herzlos angefeindet. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer kann ein garstig Lied davon singen. Selbst der grüne Landes- und Stadtverband verweigerte ihm daraufhin endgültig die Gefolgschaft. Dabei ist Palmer nicht nur erfolgreiches Oberhaupt der „kleinen großen Stadt“ (Walter Jens) am Neckar, sondern auch gelernter Mathematiker. Bis auf die dritte Komma-Stelle rechnet er in den sozialen Medien regelmäßig vor, wie unsinnig die fortwährende Lockdown-Politik ist und wie sich die gefährdeten Alten weit effizienter schützen ließen.


Auch der Verweis, dass die knappen Impf-Vorräte zuvörderst den wirklich systemrelevanten Berufsgruppen zugute kommen sollten, die sich täglich nahezu schutzlos einem vielfältigen Personenkontakt aussetzen müssen (Polizisten, Lehrer, Ärzte, Pflegekräfte oder der Kassiererin), ist nicht statthaft. Menschenleben gegeneinander aufrechnen - das geht gar nicht, um mit Kanzlerin Merkel zu sprechen.


Dabei gehört die Triage zum täglichen Geschäft von Medizinern, Richtern und Behörden. Sie müssen im Einzelfall sehr wohl entscheiden, wer bei Transplantationen die höchste Erfolgsquote hat oder mit welchem Schadensersatz ein Unfalltoter berechnet wird. Dabei geht es im Kern um Lebenszeit, die genommen wurde. Und die hängt maßgeblich vom Alter ab. Die Schweizer Regierung hat das Ungeheuerliche getan, und eine Kosten-Nutzten-Analyse in Auftrag gegeben, um ihre - auch dort umstrittenen - Corona-Beschlüsse zu rechtfertigen. Das Ergebnis: Weil die allermeisten Corona-Toten über 80 Jahre alt und mit Vorerkrankungen belastet waren, wurden im Mittel 5,4 bis 6,8 verlorene Lebensjahre errechnet. Da etwa die Hälfte der Corona-Opfer zuletzt in Alten- und Pflegeheimen lebten, wo die mittlere Lebenserwartung nur 2 bis 2,5 Jahre beträgt, haben die Experten einen Verlust von 2,7 bis 2,8 Jahren an Restlebenserwartung kalkuliert. Dem wurden dann die Kosten des Lockdowns entgegenstellt - ohne freilich eine Abwägung zu treffen.


In Deutschland käme eine derartige Studie politischem Selbstmord gleich. Bei uns stehen allein die täglichen Infektions- und Todeszahlen im Vordergrund. Diese werden bewusst nicht in Relation zur „normalen“ Mortalität oder zu den ökonomischen wie sozialen Kosten der drastischen Einschränkungen gesetzt. Dabei sterben in Deutschland jeden Tag durchschnittlich 2600 Menschen - und das schon lange vor Corona. 2020 sind 960 000 Bürger von uns gegangen. An und durch Corona sind seit einem Jahr etwa 53 000 Personen gestorben. Also 0,025 Prozent der seit letzten Januar 2,1 Millionen Infizierten. Wer also postuliert, dass „jeder Tote einer zu viel“ ist, der müsste die Bürger zu gesunder Ernährung und mehr Bewegung zwingen. Denn das ist nach wie vor die häufigste Todesursache.


Aber Diabetes und Bluthochdruck sind nun mal nicht ansteckend. Für politisch Verantwortliche ergibt sich daher eine andere Rechnung: Die Corona-Toten werden ihnen angerechnet. Die Kosten der Lockdowns hingegen der Pandemie, für die man nun mal selbst dann nichts kann, wenn man die Massenimpfungen durch falsche Entscheidungen verschleppt und damit ebenfalls Leben auf dem Gewissen hat. Wer hingegen auf die Bildungsverluste bei (sozial schwachen) Kindern, auf die „getöteten“ Kleinunternehmer oder die Folgen sozialer Spannungen verweist, wird schnell als „Querdenker“ diffamiert und als Rechtsextremist vom Verfassungsschutz beobachtet. Markus Söder, der als entschiedener Corona-Bekämpfer für einen CSU-Politiker von ungewöhnlich hohen Popularitätswerte ins Kanzleramt getragen werden könnte, warnt bereits vor einer „Corona-RAF“. Merkel sieht eine „Naturkatastrophe“ auf uns zukommen und nennt die Virus-Mutationen „ein Pulverfass“, auf dem wir sitzen. Dabei sind Mutationen bei Viren völlig normal. Sie verändern sich ständig, wie man von der alljährlichen Grippe weiß, die in diesem Winter übrigens überraschen folgenlos blieb.


Doch Apokalyptiker sind grundsätzlich im Vorteil. Wird die Pandemie besiegt, was allein schon durch die wachsende Herdenimmunität der Fall sein sollte, können die Kassandra-Rufer für sich in Anspruch nehmen: Nur unsere drastischen Warnungen haben eine Verhaltensänderung erzwungen. Geht es schief, hört man Söder, Goethes Mephisto gleich, rufen: Hättet ihr auf uns gehört, wäre das nicht passiert. Jene, die hingegen wie in der Schweiz auf die Kosten der drastischen Einschränkungen vor allem für die Wirtschaft hinweisen und Lockerungen fordern, werden umgehend für die Toten verantwortlich gemacht. Die verlorenen Unternehmen , Arbeitsplätze, Steuern und Bildungschancen zählen nicht. Auftrieb bekommt, wer die Pandemie als Hebel zum gesellschaftlichen Umbau nutzen will.


Winfried Kretschmann, der weit ins bürgerliche Lager hinein hoch angesehene grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, profiliert sich gerne mit Zitaten von Hannah Arendt. Jetzt wäre die Zeit dafür, sich an die deutsch-amerikanische Publizistin (1906 - 1975) zu erinnern: „Es war einmal eine glückliche Zeit, als die Menschen frei wählen konnten: Lieber tot als Sklave, lieber stehend sterben, als auf den Knien leben. Und es war einmal eine verruchte Zeit, als schwachsinnig gewordene Intellektuelle erklärten, das Leben sei der Güter höchstes. (...) Wir Lebenden haben zu lernen, (...) dass man nicht unsterblich wird, wenn man dem Leben nachjagt.“ In einem Interview zählt der Schweizer Theologe Heinz Rüegger die Nebenwirkungen auf, die jede Lockdown-Maßnahme im Schlepptau führt, um die rhetorische Frage zu stellen: „Wann, wenn nicht im hohen Alter, soll man denn sterben?“


Selbst die Kirchen in Deutschland wollen plötzlich von der Endlichkeit des Lebens nichts mehr wissen. Dabei stellt sich doch die Frage: Ist es mit der Würde des Menschen, die in unserer Verfassung an erster Stelle steht, vereinbar, wenn diese Personen wegen behördlicher Vorgaben alleine sterben müssen und nicht einmal die nächsten Angehörigen in den letzten Stunden Trost spenden dürfen? Bundestagspräsisent Wolfgang Schäuble, der mit 78 Jahren zur Hochrisikogruppe gehört, hat schon früh darauf verwiesen, dass in dieser heiklen Güterabwägung der Schutz des Lebens zurückzutreten habe. Er wurde erst attackiert und dann ignoriert.






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