Wolfgang Bok
Das Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind begrenzt: Das sollte man klar sagen
„Nichtern betrachtet“ fordert Dr. Wolfgang Bok in seiner Kolumne mehr Realismus bei der Flüchtlings-Aufnahme und in der Energiepolitik
Von Dr. Wolfgang Bok
Haben wir aus 2015 wirklich nichts gelernt?
Werden nun dieselben Fehler wiederholt?
Wieviele der 40 Millionen Ukrainer wollen wir aufnehmen?
Wo bleibt der Realismus in der Energiefrage?
Eine ungesteuerte Flüchtlingswelle wie ab September 2015 dürfe sich nicht wiederholen, wurde uns seither hoch und heilig versprochen. Von wegen! Wieder kommen binnen weniger Tage Hundertausende, die weder kontrolliert noch überprüft werden. Innenministerin Faeser (SPD) erklärt Deutschland - wie einst Angela Merkel - zum Land der offenen Grenzen, das nicht nur flüchtende Ukrainer willkommen heißt, sondern jeden, der vorgibt, vor russischen Bomben zu fliehen. Wieder ist das Herz weiter als der Verstand, der doch sehen müsste, wie leicht unsere Gastfreundschaft zur Einladung für all jene wird, die es bislang nicht in das gelobte Land geschafft haben und nun eine neue Lücke in der Balkanroute sehen. Wie weiland im „Arabischen Frühling“ werden nun wieder alle Flüchtenden pauschal zu Freiheitskämpfern und Demokraten (und alle Russen pauschal zu Unmenschen) erklärt, obwohl es doch gute Gründe gab, warum der Ukraine von der EU so lange die Visafreiheit verweigert wurde. Aus Syrien kamen ab 2015 angeblich nur hochgebildete Arbeitskräfte, von denen heute leider noch immer der Großteil Hartz IV bezieht und so gar nicht in unsere Fachkräfte-Lücken passen will. Nun sieht man in den Ukrainer vor allem IT-Experten, obwohl doch überwiegend Frauen und Kinder kommen. Wieder berichten die Medien, vor allem ARD, ZDF und DLF, überschwänglich von einer „Welle der Hilfsbereitschaft“ und blendet alle negativen Begleiterscheinungen aus. Wieder vertrauen deutsche Politiker naiv auf einen „gerechten Verteilungsschlüssel in der EU“, der natürlich so wenig eingehalten wird wie nach 2015. Denn wieder ist den anderen keine Last zu groß, die Deutschland für sie trägt. Und wieder wird allenfalls darüber gestritten, wie die immensen Kosten zwischen Bund, Ländern und Kommunen aufgeteilt werden, anstatt über die Milliarden-Ausgaben an sich und notwendige Sparmaßnahmen zu deren Finanzierung zu debattieren. Und damit auch die Frage, ob die großzügigen Sozialleistungen samt Arbeitserlaubnis nicht geradezu eine Sogwirkung auslösen und eine gerechte Verteilung in Europa verhindern.
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Schon klar. Wenn den Deutschen das Herz übergeht, gilt nüchternes Kalkül als hartherzig. Nur: Gerade in Krisenzeiten sollte politische Führung kühlen Kopf bewahren und die langfristigen Folgen bedenken. Wollen und können wir wirklich Millionen Ukrainer aufnehmen und versorgen; zu den Hunderttausenden an Flüchtlingen aus Afrika, Arabien und dem Rest der Welt, die nach wie vor vorrangig nach Deutschland drängen? Auch die Ukrainer werden nicht in ihre verwüstete Heimat zurückgehen, wenn sie sich erst einmal an die Annehmlichkeiten des hiesigen Fürsorgestaate gewöhnt haben. Sie werden ihre Familien nachholen, so wie es Syrer, Afghanen, Iraker, Sudanesen etc. tun. Sind wir darauf vorbereitet? Hier halte ich es mit Boris Palmer, dem (noch) grünen Tübinger Oberbürgermeister: Wir können nicht allen helfen - und sollten das auch klar kommunizieren. Und zwar bereits an der Grenze. Jetzt sollten wir Polen, Slowaken, Tschechen, Ungarn und Balten, die sich bislang der Flüchtlingsaufnahme verweigert haben, den Vortritt lassen. Jetzt ist osteuropäische Solidarität gefragt. Gerne mit finanzieller Unterstützung der EU, was letztlich die Aufnahmebereitschaft auch in anderen EU-Staaten steigern würde.
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Denn auch das sei gesagt: Die Ukraine liegt nicht „mitten in Europa“, sondern ziemlich weit im Osten, wo man sein eigenes Verständnis von Markt, Macht und Kontrolle hat. Am 28. September 2021 berichtete die Süddeutsche Zeitung ausführlich, wie die Regierung Selenskyj mithilfe einer „korruptionsumwitterten Justiz“ einen kanadischen Solar-Investor ausgebotet und dessen Millionen-Werte einem „berüchtigten Oligarchen“ zugeschanzt hat, der „eng mit dem Präsidenten verbunden ist“. Heute wird dieser Selenskyi zum größten aller Widerstandkämpfer erklärt und wohl bald mit dem Friedensnobelpreis geadelt. Man sehe mir meinen kritischen Unterton nach. Aber abrupte Heiligsprechungen machen mich nun mal skeptisch. Selbst der Vatikan lässt sich dafür Jahre Zeit.
Dass der einstige Komiker ein Kommunikationstalent ist, hat er auch mit seiner Video-Ansprache im Bundestag bewiesen. Weil die Ampel-Mehrheit eine anschließende Aussprache verweigert hat und zur Tagesordnung übergegangen ist, wird seither über eine „Schande des deutschen Parlamentarismus“ geklagt. Das ist mir etwas zu theatralisch. Aber eine Antwort samt Debatte hatte der deutschen Regierung gut zu Gesicht gestanden. Zumal Selenskyj sich ja dazu verstiegen hat, uns Deutschen eine Mitschuld an dem russischen Überfall zu geben. Gerade so, als wäre Deutschland der einzige Staat, der russische Rohstoffe kauft und damit Putins militärische Aufrüstung finanziert. Wirtschaftsminister Habeck hat später bei Maischberger die richtigen Worte gefunden: Aus Kiewer Sicht ist die Anklage verständlich, aber Deutschland kann und will sich so wenig in einen Dritten Weltkrieg hineinziehen lassen. So wenig wie alle anderen Nato-Länder das Risiko eines Atomkrieges eingehen wollen und es wohlweislich bei Solidaritätsbekundungen und Waffenlieferungen belassen.
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Diesen grünen Realismus wünschte man sich auch in der Energiepolitik. Diese nimmt mit jedem Tag kuriosere Züge an. Nun also wird mit Katar, das gestern noch zu den ausbeuterischen Schurkenstaaten zählte, eine „Energiepartnerschaft“ vereinbart. Anstatt eilig dafür zu sorgen, dass die letzten drei Atomkraftwerke zum Jahresende nicht auch noch abgeschaltet werden, machen wir uns von der nächsten Öl-Diktaturen abhängig. Das verpönte Frackinggas wird aufwändig über die Meere geschippert, dessen Förderung bei uns verboten ist. Jetzt fehlt nur noch die Energiepartnerschaft mit Frankreich (Atom) und Polen (Kohle). Auch den Norwegern schaufeln wir weitere Milliarden in den Staatsfonds, der sein Geld nicht mehr in „schmutziger Energie“ anlegen darf, mit der die Skandinavier reich geworden sind. Die Belgier haben die Laufzeit ihrer Atomanlagen kurzerhand um zehn Jahre verlängert, wie zuvor schon Schweizer und Schwenden. Nur wie tabuisieren mal wieder das Falsche.
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Das gilt auch für die Nahrungsmittelproduktion. Drastisch steigende Getreidepreise könnten eine schlimmen Hungersnot für 276 Millionen von Menschen führen, warnt die Welternährungsorganisation der Uno. Können wir es uns da weiterhin leisten, wertvolle Rohstoffe wie Mais zu Biokraftstoff zu verwandeln? Oder mit strengen Düngemittelverordnungen die Bauern daran hindern, mehr der Mangelwahre zu produzieren um Ausfälle aus Russland und der Ukraine wenigstens etwas zu kompensieren? Tank oder Teller lautet die Frage, auf deren Beantwortung ich vor allem von den Grünen gespannt bin. Oder ist hier das Herz dann doch nicht so weit, wenn die grüne Ideologie der Vernunft mal wieder im Wege steht. Die Biobauern jedenfalls werden die Lücken nicht schließen können. Ach ja: Neben dem Sprit steigen nun auch die Preise für Lebensmittel spürbar. Also genau das, was die grünen Klientel der Besserverdiener immer wollten. Herz und Heuchelei liegen mitunter eng beieinander.